Insgesamt 14 Schülerinnen und Schüler nahmen am Vorbereitungskurs der Philosophie Olympiade teil. Nach intensiven Tagen in Lech, wo wir drei Tage den Vorträgen und Diskussionen lauschen durften, nach vielen weiteren Stunden in den exklusiven Räumlichkeiten unserer Bibliothek, sahen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmerschließlich vier anspruchsvollen Themen gegenüber. Ein philosophischer Essay war zu schreiben, der den folgenden Kriterien entsprechen sollte: Das Thema muss gut getroffen werden, die Argumente müssen logisch und überzeugend sein, philosophisches Wissen darf nicht fehlen, und schließlich sollte er auch noch kreativ sein. Beim Finale schließlich konnte sich David Angerer, 6c, mit diesem Essay für das Finale in Salzburg qualifieren. Leider fährt er stattdessen nach Spanien und überlässt seinen Platz dem nächsten … wir gratulieren ihm dennoch herzlich!
Zu meinen, man verstehe unseren Geist vollständig, sobald man einmal das Gehirn versteht, wäre so, als glaubte man, man verstehe Fahrradfahren vollständig, wenn man unsere Beine versteht. (Markus Gabriel: Ich ist nicht Gehirn. Berlin 2015, S. 23)
Ich ist auch kein Gedanke
Wir Menschen sind sehr auf den Verstand, den Kopf fokussiert, nicht selten hat ein Philosoph gesagt, wir Menschen sind durch unsere Fähigkeit, Dinge bewusst zu analysieren und interpretieren etwas Besonderes. Nur wegen unseren Gedanken, unserem Leistungsfähigem Gehirn, unserer Sprache sind wir in der Nahrungskette aufgestiegen, konnten uns organisieren und zusammen größere Herausforderungen angehen. In der Schule wird der Verstand trainiert und geschärft, ohne einen guten Verstand kommt man in unserer Gesellschaft kaum an einen guten Arbeitsplatz. Wir Menschen definieren uns gegenseitig mittels unseres Verstandes, man weiß, wer der andere ist, denn der Verstand erinnert sich an sein Alter, seinen Namen, seine Herkunft, seinen Beruf. Diese andere Person wird dann analysiert, interpretiert und schlussendlich in eine Schublade gesteckt. Viele Leute wüssten nicht, wer sie sind, wenn sie nicht von anderen Menschen beurteilt werden würden. Auf der einen Seite sehnt man sich nach Anerkennung, man möchte positiv bewertet werden, auf der anderen Seite bleibt aber immer noch die Angst vor einer Herabwürdigung der eigenen Persönlichkeit. Ein weiteres Phänomen ist das Selbstgespräch, ein Verstand, der mit sich selbst redet und dadurch einen gewissen Trost erhält – endlich versteht ihn jemand. Manchmal gibt es im Selbstgespräch eine Rollenverteilung, ein Opfer und ein Täter. Der eine spielt den Täter und sagt, du solltest jetzt aber nicht auf dem Bett liegen, tu etwas, der andere wird defensiv, es fühle sich aber gerade so gut an. Früher oder später kommt leider der spaßverderbende Gedanke, schau, jetzt redest du schon mit dir selbst, weil du niemanden sonst hast.
Wenn man sagt, man verstehe etwas, was meint man dann damit? Als Bespiel: Damit Du und Ich uns hier verständigen könnten, gebrauchen wir uns natürlich der Sprache. Wenn ich das Wort Apfel verwende, wäre es blöd, wenn du unter dem Wort Apfel etwas anderes verstehen würdest als Apfel. Würde das Wort Apfel für dich eine Banane beschreiben, dann würden wir uns nicht verstehen. Denke ich „Apfel“, dann meine ich etwas Rundes, Saftiges mit einem Stiel. Würdest du „Apfel“ denken, dann hättest du etwas Gelbes, Krummes und Längliches vor Augen. Bezieht man dies nun auf größere Sachverhalte, auf Glaubenssysteme und Denkweisen, so erkennt man das resultierende Problem, wenn man in Worten wie Gott oder Leben nicht übereinstimmt. Diese verschiedenen Interpretationsweisen diverser Schlüsselbegriffe oder Ideen können zu Vorurteilen gegenüber fremden Kulturen führen und letztendlich zu Rassismus. Denn versteht man unter dem Wort Mensch einen Weißen, so sind Andersfarbige keine Menschen. Und denkt der eine, Gott hätte eine Glatze und einen schwarzen anstatt eines weißen Bartes, so müssten wir ihn verfolgen.
Wir Menschen werden von allen möglichen Süchten heimgesucht, eine schlimmer als die andere. Einige sind süchtig nach Zigaretten, andere nach Essen, Alkohol, Shoppen…wiederum andere kommen nicht vom Bildschirm weg. Die meisten sind sich ihrer Süchte nicht bewusst, wissen nicht, dass sie eine Entscheidung haben. Es gibt jedoch eine Sucht, die sich in so gut wie jeden von uns unbemerkt eingeschlichen hat und die den Großteil unseres Alltags bestimmt. Die Sucht nach Denken. Das Bedürfnis, so gut wie alles zu beurteilen, jedem ein Urteil aufzudrücken und im ständigen Dialog mit sich selbst zu stehen. Selten finden wir in unserem Alltag einen Moment der Ruhe, in dem wir nicht denken, sondern genießen. Und meist werden diese Momente nur durch (übermäßigen) Konsum von etwas erreicht, eine Stimulierung setzt ein und man erhält eine Erleichterung von den Sorgen und Problemen des Lebens. Das Problem an den zahllosen Beruhigungsmitteln aller Art ist, dass die meisten Menschen im Falle eines endgültigen Entzuges von allen Ablenkungen zu einer Gefahr für sich selbst werden würden.
Ich möchte nun auf das Bewusstsein eingehen, auf das wahre Ich, das Selbst, auf den Geist. Bewusstsein zu definieren würde keinen Sinn ergeben, denn dann würden wir es zu einem Objekt machen und es von uns selbst getrennt sehen. Bewusstsein ist unsichtbar und schlussendlich formlos. Wie erkennt man sich selbst? Wie versteht man sich selbst? Zunächst möchte ich zwischen Erkennen und Verstehen unterscheiden. Wenn ich etwas verstehe, dann vergleiche ich es mit früheren Erlebnissen, kategorisiere und benenne. Eine Erkenntnis jedoch geht über das Denken hinaus, eine Erkenntnis benötigt keine Informationen, eine Erkenntnis kommt von einem Ort, den man Bewusstsein nennen könnte. Wenn man etwas erkennt, dann passiert dies nicht nur im vom Verstand dominierten Kopf, sondern im Körper. Wenn man nun fragt, wie man denn den Geist verstehen könne, so ist dies weder durch genaues Analysieren des Gehirns noch durch Denken möglich. Das Bewusstsein kann man nicht verstehen, noch kann man es in einem Wort gefangen halten. Der Verstand ist ein kleiner Teil unseres Bewusstseins, ein Instrument, um auf dieser Welt zu funktionieren, sucht man sich jedoch im Denken, probiert, sich selbst durch Wörter, Vorstellungen und Fantasien zu beschreiben, irrt man ziellos und frustriert umher. Man könnte sich jahrelanger Psychoanalyse unterziehen, jeden kleinsten Aspekt seiner Kindheit und Jugend analysieren und nach einiger Zeit hätte man dann eine dicke Mappe unterm Arm, auf der Ich steht und die jede Information enthält, die man über einen sagen könnte. Doch wäre man selbst in dieser Mappe enthalten?
Wir Menschen sind im Laufe der Evolution, in der unser Gehirn immer leistungsfähiger und schneller geworden ist, an unseren Verstand verloren gegangen. Nun denken wir nicht mehr, sondern werden gedacht. Wir können zwar gewissermaßen entscheiden, was wir sagen oder schreiben, aber können wir auch entscheiden, welche Gedanken uns durch den Kopf gehen?
Die Kontrolle über unsere Gedanken haben wir nicht, das kann man leicht mit jener Aufforderung, man solle auf keinen Fall an einen pinken Elefanten denken, beweisen.
Nun kann man den Geist zwar nicht verstehen, denn verstehen bedeutet objektivieren, aber kann man den Geist oder das Bewusstsein erkennen? Kann Bewusstsein sich seiner selbst bewusst werden? Ja, das kann es. Dazu muss es sich jedoch aus der Identifikation mit Form, aus dem festen Griff des Verstandes befreien. Dies gelingt nur durch die Fähigkeit, den Verstand zu beobachten und somit die Rolle des Denkers zu verlassen. Hört man einem Gedanken zu, verändert sich die Lage des Subjekts. Sie verlagert sich von dem Gedanken zurück zum formlosen Bewusstsein. Man erkennt, dass man nicht jedem Gedanken glauben muss und dass letztendlich wahre Freiheit in dieser Erkenntnis liegt. Nun ist der eigene Gemütszustand nicht mehr völlig abhängig von den Umständen, positive und negative Bewertungen verschwimmen. Fällt einem das Eis runter und ein Gedanke kommt, der sagt, das passiert nur mir, so kann man diesen Gedanken als Gedanken erkennen – und nicht als absolute Realität. Frieden, eine Neutralität breitet sich aus, man ist nicht mehr in der Welt der Dinge verloren. Zudem muss gesagt werden, dass etwa 98% unserer alltäglichen Situationen neutral sind, jedoch von unserem Verstand anders bewertet werden. Die absolute Realität kann nicht mit den Sinnen oder mit den Gedanken wahrgenommen werden. Was man sieht, hört oder fühlt, ist nie die Realität, sondern eine billige, relative Version der Realität. Real als solches ist im Endeffekt nur man selbst, das Bewusstsein in seiner unkonditionierten Form. Und dieses Bewusstsein wird nicht von Wissenschaftlern im Gehirn gefunden werden, auch wenn das Gehirn nur durch das Bewusstsein existieren kann. Denn schlussendlich ist alle Form ein Ausdruck von Bewusstsein, sei es ein Stein oder ein Buch über Quantenphysik. Selbst Gedanken sind Form, jedoch auf einem anderen Level als ein Stein oder ein Buch.